Jude – Kommunist – Ungar? Die vielen Leben des heimatlosen Philosophen Ernő Gáll
Vortragender: Dr. Franz Sz. Horváth (Rüsselsheim)
Ernő Gáll (1917-2000) bezeichnete sich als „Randperson“ mehrerer Kulturen, Religion und Ideologie. Geboren in eine assimilierte jüdisch-ungarische Familie, verließ er diese als Heranwachsender, wurde Mitglied der illegalen Kommunistischen Partei Rumäniens. Im Zweiten Weltkrieg erlitt er Verfolgung und die Deportation ins KZ Buchenwald. Nach dem Krieg stieg er in Rumänien zu einem führenden Dogmatiker und Stalinisten der ungarischen Minderheit Rumäniens auf, bis er sich seit den 1960er Jahren von seinen dogmatischen Positionen zunehmend distanzierte und schließlich selbst vom rumänischen Geheimdienst beschattet und verfolgt wurde. Der Vortrag fragt nach den biographischen Motiven für die vielen Wandlungen, Bindungen und hybriden Identitäten Gálls, stellt seine Beziehung zu seinem jüdischen Erbe dar und seine Philosophie vor, die im Ausdruck von der „Würde der Eigenart“ gipfelte. Eingebettet in eine gleichermaßen typische wie atypische ostmitteleuropäische Intellektuellenbiographie, bietet Gálls spannende Biographie einen Einblick in die jüdische und die Minderheitengeschichte Osteuropas mit Bezügen zur Geschichte Ungarns und Rumäniens im 20. Jahrhundert.
Franz Sz. Horváth studierte Geschichte und Philosophie in Heidelberg, Promotion ebenda 2006 mit einer Arbeit über die Wahrnehmung des Nationalsozialismus durch die ungarische Minderheit Rumäniens (1931-1940); 2006/7 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Southampton, 2007/8 Postdoktorandenstipendium der Studienstiftung des dt. Volkes (Bonn) und des Leo Baeck Institute London. Seit 2010 im Schuldienst, seit 2012 Lehrer für Geschichte und Ethik an der IKS Rüsselsheim. Zu seinen wichtigsten Publikationen zählen: Zwischen Ablehnung und Anpassung. Die politischen Strategien der ungarischen Minderheitselite in Rumänien 1931–1940. München 2007; Bildung und Integration. Eine kurze Geschichte der Immanuel-Kant-Schule in Rüsselsheim. Berlin 2020; Kommunist – Jude – Ungar? Leben und Werk des heimatlosen Philosophen Ernő Gáll. Wiesbaden 2023; György Bretter: Parabeln. Essays über Bewusstsein, Tat und Vollendung. Berlin 2024 (Übersetzung und Vorwort); Rüsselsheimer (Kultur-)Geschichte. Ubstadt-Weiher 2025.
Am 17.06.2025, 18:15 Uhr
Ort: Philosophicum, Jakob-Welder-Weg 18, 55128 Mainz, Raum P 12
In Kooperation mit:
Deutsch-Griechische Gesellschaft Wiesbaden/Mainz